EU: Kaum Fortschritte auf dem Weg zum Handelspakt mit Großbritannien

24.04.2020 17:16

Nur wenige Monate bleiben der EU, die künftigen Beziehungen zu
Großbritannien zu klären. Die Uhr ticke, wiederholt ihr Unterhändler

Barnier. Doch in Großbritannien gehen die Uhren offenkundig anders.

Brüssel/London (dpa) - Einwöchige Verhandlungen über einen
Handelspakt mit Großbritannien nach dem Brexit haben aus Sicht der
Europäischen Union kaum Fortschritte gebracht. «Ich bedaure das, und
es beunruhigt mich», sagte EU-Unterhändler Michel Barnier am Freitag
nach den Video-Gesprächen mit britischen Unterhändlern. Das Ziel
eines Abkommens bis zum Jahresende sei immer noch erreichbar, aber
nur mit politischem Willen beider Seiten.

Von britischer Seite hieß es, die Verhandlungsrunde sei «umfassend
und konstruktiv» gewesen. Doch habe es trotz viel versprechender
Übereinstimmung bei Kernthemen eines Freihandelsabkommens nur
beschränkten Fortschritt gegeben. Beide Seiten gaben sich gegenseitig
die Schuld.

Großbritannien hat die EU am 31. Januar verlassen. Bis Ende 2020 gilt
eine Übergangsphase, so dass sich im Alltag kaum etwas verändert hat.
Großbritannien gehört nach wie vor zum EU-Binnenmarkt und zur
Zollunion, hält sich an EU-Regeln und zahlt in den EU-Haushalt. Der
«wirtschaftliche Brexit» komme erst zum Jahresende, sagte Barnier.
Nötig sei eine intelligente Lösung, um nach der Corona-Krise einen
neuen negativen Schock für Wirtschaft und Verbraucher zu vermeiden.

Barnier zog eine düstere Bilanz. Das von beiden Seiten gesetzte Ziel,
bis Juni entscheidende Fortschritte zu machen, sei «am Ende dieser
Woche nur sehr partiell erreicht worden», sagte er.

Enttäuschend nannte Barnier vor allem die Verhandlungen über faire
Wettbewerbsbedingungen, das sogenannte Level Playing Field. Die EU
will Zusagen für eine weitgehende Angleichung von Umwelt-, Sozial-
und Subventionsregeln auf beiden Seiten, damit Großbritannien seiner
Wirtschaft keine unfairen Vorteile verschaffen könnte. Dafür
verspricht die EU Warenhandel ohne Zölle und Mengenbegrenzungen.
«Diese Woche hat sich Großbritannien da nicht substanziell
eingebracht», sagte Barnier. Ohne «Level Playing Field» werde es aber

kein ehrgeiziges Handelsabkommen geben.

London hingegen sieht die Schuld für die schleppenden Verhandlungen
bei Brüssel. Die EU wolle Großbritannien beim Thema Warenhandel nicht
dieselben Konditionen bieten wie anderen Drittländern. Auch die
verlangten Auflagen bei den Themen Fischerei und Level Playing Field,
seien nicht akzeptabel, hieß es.

Barnier nannte als weitere Knackpunkte die Festschreibung gemeinsamer
Standards bei Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit, Klimaschutz,
Datenschutz, wie sie für die EU bei allen internationalen Abkommen
üblich seien. Aus EU-Kreisen hieß es, Großbritannien wolle nur über

Themen in seinem Interesse verhandeln, bei den übrigen hörten die
britischen Unterhändler nur höflich zu. Die EU wolle jedoch bis Juni
Fortschritte bei allen relevanten Fragen. Bis dahin sind zwei weitere
Verhandlungsrunden geplant.

Juni ist deshalb von Bedeutung, weil dann die Option zur Verlängerung
der Verhandlungsfrist ausläuft. Im Austrittsvertrag ist geregelt,
dass die Übergangsphase einmalig um ein oder zwei Jahre verlängert
werden kann. Der britische Premierminister Boris Johnson lehnt dies
kategorisch ab, weil er sein Land so rasch wie möglich von EU-Regeln
und Beitragszahlungen befreien will. Die EU sei hingegen offen für
eine Verlängerung, sagte Barnier.

Der Brexit-Beauftragte des EU-Parlaments, David McAllister, sagte der
Deutschen Presse-Agentur: «Es ist bedauerlich, dass in dieser
Verhandlungsrunde keine konkreten Ergebnisse erzielt werden konnten.»
Das müsse nun zügig geschehen. «Der Juni wird entscheidend sein, um
den bisherigen Stand der Verhandlungen im Detail zu bewerten und um
sich gegebenenfalls auf eine Verlängerung der Übergangsphase über den

31. Dezember 2020 hinaus zu verständigen. »

Die Verhandlungen hatten im März begonnen. Kurz darauf machte Barnier
eine Infektion mit dem Coronavirus bekannt, und auch sein britischer
Kollege David Frost begab sich in Quarantäne.